A. Hug (u.a.): Nidwaldner Orts- und Flurnamen

Titel
Nidwaldner Orts- und Flurnamen. Lexikon, Register, Kommentar in 5 Bänden


Autor(en)
Hug, Albert; Weibel, Viktor
Erschienen
Stans 2003: Historischer Verein Nidwalden
Anzahl Seiten
1844 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Heinrich Boxler

Mit dem Erscheinen des Nidwaldner Namenbuches darf sich die Innerschweiz rühmen, bald einmal das dichteste Netz erforschter Orts- und Flurnamen zu besitzen. Das Urner Namenbuch ist abgeschlossen. An den Namenbüchern der Kantone Schwyz, Zug und Luzern wird gearbeitet und z.T. liegen bereits erste Ergebnisse vor. Eine mit Uri und Nidwalden vergleichbare Vollständigkeit weist bisher nur der Kanton Graubünden auf. Die Namen der beiden Appenzell sind vollständig gesammelt und z.T. publiziert. Im Vergleich mit der Innerschweiz liegen aber die Namenbuchprojekte verschiedener weiterer Kantone trotz erster Publikationen noch im Hintertreffen.

Das Nidwaldner Namenbuch setzt Standards für künftige schweizerische Namenbücher. Sein hohes Niveau verdankt das Werk einerseits der langjährigen Erfahrung, welche die beiden Autoren Viktor Weibel und Albert Hug in die Sammlung einbrachten, und andererseits dem Verständnis von Regierung und Historischem Verein Nidwaldens sowie der finanziellen Unterstützung durch den schweizerischen Nationalfonds. Entstanden ist ein fünfbändiges Werk, das aus drei Lexikonbänden, einem Registerband und einem Kommentarband besteht. Das Lexikon hat eine beispielhafte Übersichtlichkeit erreicht. Das Quart-Format ermöglicht es, viel Raum um den Text zu schaffen und eine demotivierende Bleiwüste zu vermeiden. Jeder der 5170 noch lebendigen und der 1250 ausgestorbenen Namen ist mit Gemeindenamen, Koordinaten und Höhenangabe versehen und gewährleistet die genaue Lokalisierung. Das Lemma ist durch Fettdruck herausgehoben und sprachlich so angesetzt, dass es im alemannischen Sprachraum verstanden wird. Es folgen die heutige Aussprache des Namens, die genaue Beschreibung der Örtlichkeit, die historischen Namenbelege und die Namendeutung. Ausführlicher sind diese Deutungen dort, wo kontroverse Ansichten vorliegen, was etwa bei den Namen Buochs, Stans oder – besonders spannend – beim Bergnamen Pilatus der Fall ist. Da eine konsequente alphabetische Reihenfolge der Namen zu vielen Wiederholungen und Überschneidungen führen würde, sind die Namen in der alphabetischen Reihenfolge ihrer Grundwörter aufgeführt. Um auch dem Laien den Gebrauch zu erleichtern, bietet der Registerband eine Menge verschiedener Zugänge an, die keinen Wunsch offen lassen. Neben dem obligaten Quellen-, Literatur- und Abkürzungsverzeichnis hilft das Generalregister, jeden Namen im Lexikon aufzufinden. Dankbar ist man aber auch für das Verzeichnis der wissenschaftlichen Ausdrücke, für eine alphabetische Zusammenstellung der im Namenmaterial vorkommenden Vor- und Familiennamen und für das Kantons- und Gemeinderegister, das einen Überblick über die Namen innerhalb einer Gemeinde gewährt und Behörden und Schulen lange Sucharbeit erspart. Hervorzuheben ist ein Register, das die Namen nach Sachgruppen ordnet und Namengruppen zusammenstellt, die z.B. auf Bergbau, Burgstellen, bestimmte Gewerbe oder auf Fauna und Flora hinweisen. Schliesslich sind in einem eigenen Register die Namen unter grammatischen Gesichtspunkten gruppiert. Dabei werden die verwendeten Begriffe kurz erklärt. Dank der handlichen Griffleiste findet man sich im Registerband leicht zurecht.

Einzigartig und eine echte Augenweide ist der Kommentarband. Das ansprechende Layout von Fredi Businger und die stimmungsvollen Fotos von Urs Flüeler im sprachwissenschaftlichen Teil machen den Band zu einem Werk, das nicht nur Forschungsergebnisse zusammenfasst, sondern gleichzeitig als Teil einer Geschichte des Kantons Nidwalden dienen kann. Es gibt heute kaum eine gründlichere, anschaulichere Einführung in die Namenforschung überhaupt. Ausserordentlich kompetent wird das Namenmaterial vom Germanisten Viktor Weibel ausgewertet, indem er wesentliche Elemente der Nidwaldner Mundart herausschält, die Siedlungsgeschichte anhand der Namen aufzeigt und aus den Namen Schlüsse auf Fischerei, Ackerbau, Alpwirtschaft, Volksfrömmigkeit, Brauchtum und Rechtswesen zieht. Der Einblick, den der Historiker Albert Hug in das Sammeln der Belege gibt, könnte über seine Ergebnisse hinaus als Lehrbuch für angehende Historiker im Umgang mit Quellen dienen. Dass anstelle der einheitlich gestalteten, seitengrossen politischen Karten in verschiedenen Fällen topografische Karten hilfreicher wären – einen Gesamtüberblick über den Kanton gewährt einzig eine Schülerkarte von 1902 – und dass die im Text abgekürzt zitierten Gemeindenamen den Nichteingeweihten wiederholt blättern lassen, sind kleine Schönheitsfehler.

Was bringt ein Namenbuch dem Historiker? Eine Fundgrube ist die überwältigende Sammlung von rund 21 000 historischen Belegen. Sie stammen aus gedruckten, vor allem aber aus ungedruckten Quellen, die vorwiegend in Kantons-, Gemeinde-, Korporations- und Pfarrarchiven lagern. Dabei wurden Urkunden, Urbare, Akten, Gülte, ferner Jahrzeiten-, March-, Alp- und Protokollbücher, Chroniken, Ratsprotokolle, Karten, aber auch literarische Quellen ausgewertet. Gelegentlich finden sich spannende Exkurse, etwa zu kirchlichen Schenkungen, zur Geschichte der Nekrologien oder zur Entstehung und Entwicklung von Tauf- , Ehe- und Sterberegistern. Die Beschäftigung mit Rechts- und Verwaltungsquellen gewährt Einblicke in den allmählichen Aufbau der Verwaltung. Die vorliegende Belegsammlung ist deshalb besonders wertvoll, weil die Namen stets in ihrem Kontext erfasst sind und weil die Namenbelege bis zum Jahr 1500 vollständig wiedergegeben werden. Wer etwa die umfassende Belegsammlung zum Begriff «Nidwalden» liest, wird sich hüten, je wieder Ob- und Nidwalden in einen Topf zu werfen oder Unterwalden als Sammelbegriff für beide Halbkantone zu verwenden. Selbstverständlich sind Namenbelege immer auch stark von Zufällen abhängig, und ihr erstes Auftreten in Schriftquellen sagt nur beschränkt etwas aus über das Alter eines Namens. Gerade dort, wo archäologische und historische Quellen schweigen, kann oft die Namenkunde in die Lücke springen. Anhand sprachlicher Kriterien und gestützt auf die bekannte Abfolge gewisser Namentypen gewährt sie wertvolle Einblicke in die Siedlungsgeschichte. Viktor Weibel kann anhand vorgermanischer Gewässer- und Ortsnamen wie Surinan (später Aawasser) und On-/Anbach bzw. Buochs, Stans und Kehrsiten eine Siedlungskontinuität spätestens seit gallo-römischer Zeit nachweisen. Offenbar haben die germanischen Siedler von ihren gallo-romanischen Vorfahren auch Lehnwörter wie Frutt (Wildbach) oder Zingel (Gürtel) übernommen. Im Gegensatz etwa zur Nordwest- und Nordschweiz, wo die -ingen-Namen in der Regel Ortschaften bezeichnen, diente dieser Namentypus in Nidwalden eher zur Bezeichnung von Hofsiedlungen und Fluren. Das dürfte damit zusammenhängen, dass der Namentypus -ingen/-igen hier wie im angrenzenden Kanton Uri und im inneren Kantonsteil von Schwyz länger namenbildend wirkte als in den nördlichen Gebieten und somit zeitlich nicht leicht zu fixieren ist. Über die Siedlungsgeschichte hinaus finden sich im Namenmaterial zahllose Hinweise, die vor allem den Wirtschaftshistoriker, aber auch den Biologen und den Volkskundler interessieren dürften. Dabei sei auf die hervorragende Auswertung und Zusammenfassung im 5. Band hingewiesen, die einen raschen Überblick über diese Themen ermöglicht. Hilfreich sind sowohl im namenkundlichen wie im historischen Teil die zahlreichen Tabellen und Grafiken.

Zum guten Gelingen des Werkes trug die verdienstvolle Arbeit der beiden Redaktoren Hansjakob Achermann und Urspeter Schelbert wesentlich bei. Die beiden bildeten den wissenschaftlichen Ausschuss des Kuratoriums, und dank ihrer Doppelfunktion konnten offensichtlich Dienstwege wesentlich verkürzt werden. Dafür spricht die kurze Entstehungszeit von nur zehn Jahren, was für ein Werk von diesem Ausmass als Rekordzeit bezeichnet werden darf.

Zitierweise:
Heinrich Boxler: Rezension zu: Albert Hug, Viktor Weibel: Nidwaldner Orts- und Flurnamen. Lexikon, Register, Kommentar in 5 Bänden. Historischer Verein Nidwalden, Stans 2003. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 2, 2004, S. 219-221.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 2, 2004, S. 219-221.

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